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IHC Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit Tobias Merckle, Geschäftsführender Vorstand vom Seehaus e.V. und Stiftungsratsvorsitzender Hoffnungsträgerstiftung

3. Oktober 2022

+++ Hinweis: Leider ist es zu Beginn der Aufzeichnung an vereinzelten Stellen zu kleinen Problemen beim Ton gekommen. Wir bitten dies zu entschuldigen +++

Hoffnungsträger für straffällige Jugendliche

Seine Kunden sind Menschen: Mit dem Sozialunternehmer Tobias Merckle war ein Manager Gast beim Industrie- und Handelsclub OWL, der wie seine Familie unternehmerisch tätig ist – nur in einem anderen Bereich. Der Sohn der Ratiopharm-Gründer Ruth und Adolf Merckle engagiert sich seit mehr als 20 Jahren im sozialen Bereich. Im Zentrum seiner Tätigkeit steht der Verein „Seehaus“ und die Hilfe für jugendliche Strafgefangene.

„Gefängnisse sind kein geeigneter Ort für die Vorbereitung auf ein Leben ohne Straftaten“, erklärte Merckle gleich zu Beginn der gut besuchten Vortrags- und Diskussionsveranstaltung in den Räumen der Kanzlei Streitbörger. Das Thema begegnete dem studierten Sozialpädagogen erstmals während seiner Ausbildung, als er den Strafvollzug in den USA kennenlernte. Nachdem er wusste, wie die Behandlung von Gefangenen nicht aussehen sollte, ließ ihn die Idee, ein Modellprojekt zu aufzubauen, nicht mehr los. 2003 entstand deshalb der Verein „Seehaus“, dessen geschäftsführender Vorstand Merckle seitdem ist.

Ohne Mauern und Gitter leben straffällig gewordene Jugendliche auf einem ehemaligen Gutshof in Leonberg im offenen Vollzug. Sie können sich vom Gefängnis aus auf das Projekt bewerben. Im Seehaus erleben die „Jungs“, wie Merckle sie nennt, einen durchstrukturierten Tagesablauf mit Wecken um 5.35 Uhr, Hausputz, einem Impuls für den Tag, Arbeit, Schule, Sport, Wiedergutmachung, gemeinnütziger Arbeit, Gruppengesprächen, abends Hausaufgaben und Vorbereitung auf die Prüfungen. Jeweils fünf bis sieben Jugendliche leben mit Hauseltern wie in Familien zusammen und erleben oft erstmals Familienleben. Sie holen einen Schulabschluss nach, beginnen eine Lehre und bereiten sich auf ein Leben ohne Straftaten vor.  „Sicherheit“, so Merckle, „wird hier über Vertrauen, Beziehungen und Verantwortung aufgebaut“. Das Konzept bestehe aus Disziplin, Geborgenheit und dem christlichen Glauben. Die Rückfallquoten, so Merckle, seien dabei mit etwa 25 Prozent deutlich geringer als im normalen Vollzug, wo sie bei über 50 Prozent liegen.

Doch damit nicht genug: 2013 gründete Merckle die „Hoffnungsträger Stiftung“. Sie errichtet „Hoffnungshäuser“ in denen Flüchtlinge und Deutsche zusammenwohnen. Das Konzept für den integrativen bezahlbaren Wohnraum stößt in vielen Kommunen auf Interesse: Insgesamt 30 derartige Häuser gibt es mittlerweile in Baden-Württemberg. „Inzwischen sind viele Freundschaften unter den Bewohnern entstanden“, berichtete Merckle. Die Häuser, die in Modulbauweise errichtet werden, sind so konzipiert, dass sie Begegnungen ermöglichen – zum Beispiel durch offene, aneinander angrenzende Balkone.

Ein weiterer Arbeitsbereich der Stiftung sind Versöhnungsprojekte und die Unterstützung von Kindern von Gefangenen unter anderem in Ruanda und Kolumbien. So erzählte Merckle eindrücklich von einem verurteilten Mörder, dessen Opfer querschnittsgelähmt überlebte. Das Versöhnungsprojekt brachte die beiden früher verfeindeten Männer zusammen und der Täter chauffiert heute sein ehemaliges Opfer mit dem Auto überall hin. „Das ist für mich ein Zeichen, dass Vergebung möglich ist“, so Merckle.

Ebenfalls zur „Hoffnungsträger Stiftung“ gehört die „Sinngeber gGmbH – Das philanthropische Family Office“. Es unterstützt Unternehmerfamilien in ihrem philanthropischen Engagement mit Projektauswahl, Beratung, Reporting und Donor Advised Funds (ähnlich wie eine Stiftung). Ein weiterer Stiftungszweig ist die „HTS Verantwortungseigentum“. Sie ermöglicht Unternehmensnachfolge in der Gemeinnützigkeit.

In der anschließenden Diskussion, die von IHC-Präsidiumsmitglied Michael Böllhoff geleitet wurde, zeigten sich die Teilnehmenden beeindruckt von Merckles Engagement. „Sie sind für uns alle ein Vorbild in sozialem Unternehmertum“, so Böllhoff anerkennend.