Neue Westfälische

Schäuble räumt Fehler der Großen Koalition ein

4. Mai 2022

Wolfgang Schäuble (v.l.) wird beim IHC von Christoph Mohn, Cornelia Moss und Jörg-Uwe Goldbeck begrüßt.
Foto: Mike Dennis Müller

Parallel zur Ukraine-Reise des amtierenden CDU-Vorsitzenden Merz spricht der frühere Bundesinnenminister und Bundesfinanzminister sowie Ex-CDU-Chef in Bielefeld über Russland-Politik und die Konsequenzen aus dem Krieg. Er zieht historische Parallelen und formuliert neue Warnungen.

 

Martin Krause

Bielefeld. Wolfgang Schäuble sagt seine Meinung gern recht unverblümt, und der Alterspräsident des Bundestages ist erkennbar stolz darauf. Wer allerdings jetzt in Bielefeld den knallharten Finanzminister der Jahre 2009 bis 2017 erwartet hatte, den als Vertreter eines Überwachungsstaates kritisierten CDU-Innenpolitiker früherer Jahre oder den strengen Unionsfraktionschef und Oppositionsführer, der wurde überrascht.

Auf Einladung des Industrie- und Handelsclubs OWL sprach Schäuble in den Räumen des Bauunternehmens Goldbeck, und er trat staatstragend auf, milde und angesichts des Krieges in der Ukraine halbwegs optimistisch. Trotz des laufenden NRW-Landtagswahlkampfes vergab er gute Noten für die Ampelkoalition in Berlin: „Baerbock und Habeck machen das ordentlich“, lobte er zum Beispiel die grüne Außenministerin und den grünen Wirtschaftsminister. Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) schlage sich im Amt „nicht schlecht“ – wenn auch „nicht so gut wie ich“, wie Schäuble kokettierte.

Bundeskanzler Olaf Scholz habe Deutschlands „miserablen Ruf“ in der Sicherheitspolitik und als führendes EU-Mitglied mit der Zeitenwende-Rede am 27. Februar verbessert, attestierte Schäuble. Und sagte ausdrücklich, dass er „großen Respekt“ habe, wie Scholz die Strömungen in seiner Partei zusammenhalte: „Mein lieber Mann, das muss man erst mal hinkriegen“. Immerhin sei Rolf Mützenich („er ist sehr sympathisch, ich schätze ihn“) ein SPD-Fraktionschef, der mit seiner pazifistischen Haltung eigentlich „nicht politiktauglich“ sei.

„Dass wir nach der Annexion der Krim durch Russland den Vertrag für die Gaspipeline Nord Stream 2 unterzeichnet haben, war ein Fehler“, gestand Schäuble beim Blick zurück. „Wir haben die Fehler gemeinsam gemacht, nicht nur die Sozis“, nahm Schäuble zugleich die sozialdemokratischen Partner der langjährigen Großen Koalition in Schutz. Eine Ausnahme machte er in Sachen Gerhard Schröder: Zwar habe er Verständnis, dass der Ex-Kanzler um ein gutes Verhältnis zu Russland bemüht sei, dass er sich aber in die Dienste einer ausländischen Gesellschaft begeben habe, „das geht nicht“.

Schäubles Milde dürfte begünstigt sein durch die Tatsache, dass manche seiner früher oft hart kritisierten Aussagen durch die Ereignisse in ein neues Licht gerückt werden. Als er 2014 nach der Annexion der Krim von Parallelen zwischen dem russischen Vorgehen und dem des Nazi-Regimes sprach („mit solchen Methoden hat schon Hitler das Sudetenland übernommen“), gingen selbst Unionspolitiker auf Distanz. Eine Vergleichbarkeit sieht er nun wieder: Vor Frankreichs Zusammenbruch im Zweiten Weltkrieg hätten europäische Demokratien auf der Suche nach Mehrheiten nur Appeasement-Politik als Chance gesehen. Dabei hätte Hitler seine Politik doch vorhergesagt. Und Putin auch: „Wir haben die Zeichen an der Wand nicht sehen wollen.“

Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit, Menschenrechte, Gewaltfreiheit: All dies sei wohl für selbstverständlich gehalten oder nicht genug wertgeschätzt worden, befand Schäuble. Für die Bewahrung der Freiheit seien Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit nötig, „doch wenn Risikovorsorge nicht populär ist, dann ist Vorsorge schwierig“. Auch an die Adresse der Unternehmer im IHC warnte Schäuble ganz nebenbei vor der großen Abhängigkeit von China, „das kann nicht gut gehen“.

Immerhin, es gebe eine „Frohe Botschaft“, etwa das neue Sicherheitskonzept der Unionsparteien in der „Kölner Erklärung“. Zudem sei das ukrainische Volk durch Putins Angriff zusammengerückt, auch in der EU gebe es neuen Schwung. „Wir kriegen das hin“, glaubt Schäuble. Und dann seufzt der an den Rollstuhl gefesselte 79-Jährige doch noch: „Wenn wir nur etwas weniger schwerfällig wären in Deutschland.“