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Vortrags- und Diskussionsveranstaltung, Dr. Wolfgang Schäuble, Präsident des Deutschen Bundestages a.D.

3. Mai 2022

„Wir müssen Freiheit wieder mehr wertschätzen“

Nach einigen Terminverschiebungen hatte es nun endlich geklappt: Wolfgang Schäuble, CDU-Bundestagsabgeordneter, ehemaliger Innen- und Finanzminister, CDU-Präsidiumsmitglied und bis 2021 Präsident des Deutschen Bundetags, war der Einladung des Industrie- und Handelsclubs OWL gefolgt und sprach vor 150 Gästen im Goldbeck-Audimax. Weitere zahlreiche Mitglieder waren online der Veranstaltung zugeschaltet.

„Es ist eine Zeit, in der wir Erfahrungen machen, von denen wir geglaubt haben, wir würden sie nicht mehr machen müssen“, begann Schäuble sein Impulsreferat, das ganz im Zeichen des Ukraine-Kriegs stand. „Wir haben geglaubt, mit Ende des Kalten Kriegs seien wir von Freunden umgeben“. In diesem Zusammenhang erinnerte der Polit-Profi an das Knappheitsgesetz: Angebot und Nachfrage bestimmten den Preis. Was man als selbstverständlich ansehe und im Überfluss habe, verliere an Wert, siehe Gesundheit, Umwelt und Demokratie.

Die Krise der westlichen Demokratie habe lange vor Putins Einmarsch in der Ukraine begonnen, erklärte Schäuble, der an diesem Abend aus seinem reichen Erfahrungsschatz und den persönlichen Kontakten zu zahlreichen in- und ausländischen Politikern schöpfte. Machthaber wie Erdogan, Xi oder Putin fühlten sich von der Demokratie bedroht und fürchteten die Attraktivität der Freiheit. Gleichzeitig hätte in vielen anderen Ländern die populistischen Bewegungen reichlich Zulauf. „Wir müssen lernen, Demokratie und Freiheit wieder wertzuschätzen“, so Schäubles Fazit.

Mit der Feststellung, dass zu dieser Wertschätzung auch Verteidigung und Zivilschutz gehörten, habe man in Deutschland bislang keine Wahlkämpfe gewinnen können. „Es ist unpopulär, sich auf Dinge vorzubereiten, die man nicht glauben will“, so Schäuble. Wenn Risikovorsorge aber nicht populär ist, sei die Zukunftsfähigkeit infrage gestellt. „Wir müssen im Schnellkurs lernen, uns damit auseinanderzusetzen.“ Das dies durchaus möglich sei, beobachte er zurzeit in Deutschland. Eine Ansprache wie die „Zeitenwende-Rede“ von Bundeskanzler Olaf Scholz, habe er sich lange nicht vorstellen können.

Auch wenn es schwerfalle, könne er in der Ukraine-Krise auch eine Chance sehen. Die europäischen Staaten seien näher zusammengerückt, die NATO bekomme voraussichtlich neue Mitglieder und die amerikanische Politik agiere in seinen Augen sehr klug. Trotz schwerer Zeiten sehe er Grund zur Hoffnung, dass die Bemühungen des Westens einen Einfluss auf Putin und das Kriegsgeschehen haben. Gleichzeitig warnte der erfahrene Politiker aber auch: „Der Grat ist furchtbar schmal“.

Die Beiträge in der anschließenden Diskussion drehten sich erwartungsgemäß ebenfalls hauptsächlich um das Thema „Ukraine“. Schäuble lobte hierin den Deutschen Bundestag, den er bis vor Kurzem präsidierte. Dieser ringe mit Ernst um Positionen. Die demokratische Debatte müsse Meinungen bündeln und fokussieren, aber dann auch zu Entscheidungen führen. Auf die Frage, ob das Thema „Sicherheit“ in der Vergangenheit nicht zu kurz gekommen sei, bejahte der Politiker. Es gelte nun die „richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“ finden. Eine Korrektur fände jetzt statt.

Stärkt der Ukraine-Krieg den Zusammenhalt unter den Staaten Europas? Bei allem Negativen sei dies auch ein positiver Akzent, so Schäuble. „Allerdings werden wir in Europa lernen müssen, dass die Mehrheit der Menschen stärker an ihrer nationalen Zugehörigkeit hängt als an Europa. Darüber darf man sich nicht hinwegsetzen“. Vieles lasse sich aber nur gemeinsam verwirklichen, wie beispielsweise starke EU-Außengrenzen. Für Deutschland sieht er hier einen „bitteren Lernprozess“ nahen, da es sich von seinem Modell der Parlamentsarmee verabschieden müsse. Als größte Volkswirtschaft Europas müsse Deutschland zudem eine stärkere Führungsrolle einnehmen. Dies könne man nicht nur der aktuellen Regierung vorwerfen, sondern auch der Vorgängerregierung, bemerkte Schäuble selbstkritisch.

Nach einem langen Applaus für den Gast dankte Moderator und IHC-Vizepräsident Christoph Mohn dem Politiker für seine kluge Einordnung der aktuellen Lage und der Goldbeck GmbH für die freundliche Ausrichtung der Veranstaltung.