Neue Westfälische

Rundumschlag: Laut Ex-Telekom-Chef hinkt Europa überall hinterher

11. März 2020

(v. l.) Referent René Obermann, IHC Präsidiumsmitglied Verena Pausder, IHC Geschäftsführerin Cornelia Moss und HLB Partner und Gastgeber Bendedikt Kastrup. | © IHC

Am Coronavirus zeigt sich laut René Obermann symptomatisch, was in Sachen Digitalisierung in Deutschland und Europa alles schief läuft.

Bielefeld. „Wir fallen zurück“ – das ist laut Ex-Telekom-Chef René Obermann der aktuelle Zustand des „digitalen Europas“. Ganz aktuell, mit einem Beispiel aus der Medizin, untermauert der Ex-Telekom-Chef, der auf Einladung des Industrie-und Handelsclubs OWL (IHC) in Bielefeld spricht, seine These.

Angesichts einer sich weltweit ausbreitender Pandemie laufe im medizinischen Bereich in Deutschland ein Großteil der Kommunikation immer noch über Briefpost und Fax, sagt er und nennt das „absurd“. Datenschutz sei zwar wichtig, aber es gebe auch eine „Ethik der Nicht-Nutzung“ von Daten.

Europa leistet sich riesige Investitionslücke

Bei der Kritik bleibt es aber nicht. Auch beim Thema „Digitales Europa“ gibt es wohl noch einiges zu tun. Fakt sei leider, so Obermann, „dass wir in entscheidenden Bereichen wie Analytics und Künstlicher Intelligenz (KI), bei Cloud-Technologien und -Kapazitäten kaum führende europäische Unternehmen haben.“ Die größten Rechenzentren mit riesigen Kapazitäten fänden sich in den USA, China und Indien. Ähnlich sehe es in Sachen KI aus. Während andere Staaten riesige Geldmengen in die Prestigetechnologie KI pumpten, leiste sich Europa hier eine Investitionslücke von 192 Milliarden Euro, kritisiert Obermann. „Wir dürfen den Abstand nicht hinnehmen.“

In puncto Datensicherheit wiederum mache sich Europa zu stark abhängig von anderen. Wegen der enorm steigenden Datenmengen werde ein Großteil längst außerhalb der EU gespeichert. Amazon verwalte in USA mittlerweile 80 bis 90 Prozent der weltweiten Datenmenge.

Große Defizite sieht Obermann zudem in Sachen „Cyber-Security“. Zwei Drittel der deutschen Unternehmen waren im vergangenen Jahr Opfer eines Cyber-Angriffs. Ein Unternehmen wie die Telekom müsse sich täglich sogar gegen mehrere Millionen Attacken wehren. Die finanziellen Schäden seien immens. Deutschland verhalte sich hier nach Obermanns Meinung zu passiv.

Ältere Menschen nicht zurücklassen

Gleichzeitig müsse die Gesellschaft in Zeiten der Digitalisierung zusammenstehen. Denn viele Menschen hätten Angst, in der digitalen Welt abgehängt zu werden. Die steigende Wahrnehmung von Künstlicher Intelligenz und Automatisierung erzeuge Sorge vor Job- oder Bedeutungsverlust. Durch einen neuen Pakt von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik müsse dafür gesorgt werden, dass gerade auch die älteren Mitmenschen nicht durch fehlende digitale Kenntnisse zurückgelassen würden. Möglichst viele Menschen müssten sich digital aus-und fortbilden.

Alles in allem entwirft Obermann ein ziemlich düsteres Bild der digitalen Zukunft Europas. Kann die alte Welt den Anschluss an die Big Player USA und China überhaupt noch schaffen? „Wenn wir uns alle in unseren Bereichen dafür einsetzen, die Digitalisierung voranzubringen, ist es möglich, den Anschluss zu schaffen.“