Westfalen-Blatt

Wolfgang Schäuble: „Wo anfangen?“

3. Mai 2022

„Wo anfangen?“ Die Frage meint Wolfgang Schäuble eher rhetorisch und beginnt natürlich mit dem Krieg. „Wir machen Erfahrungen, von denen wir dachten, dass wir sie nicht mehr machen müssten“, sagt der ehemalige Bundesfinanzminister und Bundestagspräsident am Montagabend als Gast des Indus­trie- und Handelsclubs OWL.

Im Forum des Bielefelder Baukonzerns Goldbeck blickt der 79-Jährige auf Deutschland und die Welt. Sein Vorwurf an die Politik und damit auch an sich selbst: „Wir haben vergessen, Vorsorge zu treffen. Denn es ist höchst unpopulär, sich auf Dinge vorzubereiten, von denen man hofft, dass sie nicht eintreten.“

Seine klugen Einsichten trägt das CDU-Urgestein mit seiner ihm eigenen Ironie vor, die hier nicht wie beißender Spott klingt. Das war früher. Schäuble wirkt geradezu altersmilde, nimmt sich aber die Freiheit zu sagen, was er meint. Zum Beispiel, dass „wir international einen miserablen Ruf haben“ – in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Was Putin angeht, habe man „die Zeichen an der Wand nicht sehen wollen“. Respekt hat er für den „Schnellkurs, den SPD und Grüne jetzt machen müssen, vor allem die Jungen. Dass es geht, ist die frohe Botschaft.“

Allerdings sei der Grat für die politisch Verantwortlichen „furchtbar schmal“. Zwar dürfe Putin den Krieg nicht gewinnen, aber man müsse aufpassen, dass „er ihn nicht so verliert, dass er die Kontrolle über sein Handeln verliert“. Putin werde nicht von der Ukraine bedroht, sondern von funktionierenden Demokratien in der Nachbarschaft. Schäuble: „Erfolgreiche Demokratien sind eine ansteckende Krankheit.“

Vortragsveranstaltung des Industrie- und Handelsclub Ostwestfalen Lippe mit Wolfgang Schäuble bei der Firma Goldbeck