Rückblick

„Telemedizin, elektronische Patientenakte, Apps und Co - was bedeutet die Digitalisierung des Gesundheitswesens für den Patienten?”


Über Digitalisierung im Gesundheitswesen: Referentin Prof. Dr. Britta Böckmann (Mitte) mit Shobhna Mohn und IHC Präsidiumsmitglied Christoph Mohn.

„Wir müssen Digitalisierung gestalten“

Prof. Dr. Britta Böckmann über Chancen und Potenziale der Digitalisierung im Gesundheitswesen

Digitalisierung ist das Schlagwort der Stunde – auch im Gesundheitswesen. Prof. Dr. Britta Böckmann vom Lehrgebiet Medizinische Informatik der Fachhochschule Dortmund beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit diesem Thema. Den Mitgliedern und Gästen des IHC bot sie einen spannenden Vortrag, in dem sie Chancen und Potenziale digitaler Technologien im Gesundheitswesen aufzeigte.

Vier Trends hob Britta Böckmann hervor. Als erstes nannte sie die Möglichkeiten, die der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) bietet. Da sich das Wissen in der Medizin exponentiell vermehrt (bereits 2010 hat es sich alle dreieinhalb Jahre verdoppelt), sind Ärzte heute schlicht nicht mehr in der Lage, jede Publikation in ihrem Fachgebiet zu lesen. „Diese enormen Datenmengen auszuwerten und zu verwerten, dabei kann uns Künstliche Intelligenz gezielt unterstützen“, so Britta Böckmann.

Die Fachfrau betonte aber auch, dass Künstliche Intelligenz immer nur so gut sei wie der Datenschatz, auf dem sie lernen dürfe. Damit verwies sie auf den strengen Datenschutz in Deutschland, der den Fortschritt teilweise erschwere. Insbesondere im Bereich „genomics health“, den Böckmann als zweiten großen Trend sieht, laufen uns die Amerikaner derzeit den Rang ab. Das Genom des Patienten zu sezieren, erzeugt zwar Unmengen an Daten. Die Analyse der Biomarker ermöglicht es jedoch, bestimmte Therapien auf gezielte Patientengruppen einzugrenzen – und so eine bessere medizinische und vor allem personalisierte Versorgung zu gewährleisten.

Als dritten Trend sieht die Expertin das Internet of Things. Pillen, die dank eines Biosensors melden, wann sie eingenommen wurden, Herzschrittmacher, die Daten an den Arzt übermitteln – all das ist technisch möglich. Der vierte Trend im Gesundheitswesen ist das Smartphone. Bereits heute gibt es über 1,3 Millionen Apps zu den Themen Gesundheit, Wellness und Fitness.

Eine App kann insbesondere für chronisch Erkrankte ein wichtiges medizinisches Hilfsmittel sein. So können beispielsweise Diabetiker dank eines Tagebuchs, in das Mahlzeiten und Insulinmengen sowie Blutzuckerwerte eingetragen werden, ihre Erkrankung weitestgehend selbst managen. Jedoch liest kaum ein App-User die Geschäftsbedingungen. Wo aber landen die Daten? Werden sie verkauft? Wurde die App von Ärzten entwickelt? Fragen, die zeigen, dass es hier viel Missbrauchspotenzial gibt.

Aktuell, so Böckmann, gibt es in Deutschland kaum technologischen Entwicklungsbedarf. Die größte Hürde für Telemedizin stellt vielmehr die Abrechnung dar: In Deutschland gibt es eine starre Trennung der Sektionen in ambulant und stationär. Telemedizinische Leistungen betreffen jedoch oftmals beide Sektionen. Integrierte Versorgungsmodelle können hier eine Lösung bieten.

Abschließend verwies Britta Böckmann darauf, dass sich durch die Digitalisierung die Rolle des Arztes verändert. Außerdem besteht die Gefahr einer neuen Form der Zwei-Klassenmedizin, wenn beispielsweise erste Krankenkassen elektronische Gesundheitsakten für ihre Mitglieder anbieten, andere aber nicht.

In der anschließenden, angeregten Diskussion zeigte sich, dass IT-Sicherheit, mangelnde Infrastruktur (Breitbandausbau) und Medizin-Ethik wichtige Themen sind. „Nicht alles, was geht, ist gut und sinnvoll“, so Britta Böckmann. „Wir müssen Digitalisierung gestalten.“

Text: Julia F. Negri / Fotos: Susanne Freitag

Montag, 05. Februar 2018 20:00 Uhr
Lessinghaus
Prof. Dr. Britta Böckmann, Professorin Medizinische Informatik, Fachhochschule Dortmund